Meine Tango-Arbeit im heilerisch-therapeutischen Kontext

Meine Tango-Arbeit im heilerisch-therapeutischen Kontext

26. Mai 2022 0 Von Frank Hoffmann

(Verfasser: Ralf Sartori)

In ganzheitlicher Betrachtung: als Achtsamkeitspraxis – Werkzeug der Introspektion und Bewusstseinstechnologie – als Forschungs- und Lösungsfeld innerer Muster sowie der sich zeigenden Beziehungsthemen – Heilungsraum alter Verletzungen und karmischer, dadurch auch Ahnenthemen – und vor allem als freudvolle und schöpferische Beziehungsarbeit – auf körperlicher und psycho-somatischer Ebene zur Heilung und Prophilaxe diverser Beschwerden

Teil I

Tango – ein Tanz durch’s Spiegel-Kabinett des Lebens

Da wir spirituelle Wesen sind, begabt mit Willensfreiheit, und dadurch vom Ursprung her nicht determiniert, werden wir in allen Gesundheits- bzw. Krankheitsprozessen immer wieder auf die Erfordernisse von Innenschau und Bewusstseins-Entwicklung  verwiesen. Potenziell krank machende Faktoren können uns überall begegnen. Ob sie sich jedoch entsprechend auswirken, hängt von unserem ‚inneren Milieu‘, bzw. Themen ab, ob diese Faktoren sich als solche in uns einhaken, darin andocken und somit ‚greifen‘ können.

Eine ganzheitliche und wache Betrachtungsweise lässt immer wieder erkennen, dass die Welt, wie wir sie erfahren, eine Art Spiegelkabinett darstellt, das aufgrund des Resonanzgesetzes, und unserer häufig unbewusst angewandten Schöpferkraft, immer wieder Situationen und Geschehnisse generiert, die unser Halb- bzw. Unbewusstes spiegeln, somit auch alte Verletzungen, Traumatas, und daraus hervorgegangene Ängste und Schmerzpunkte, welche uns Mal um Mal antriggern, bis wir diese zu betrachten bereit sind, liebevoll annehmen und lösen können. Solche Geschehnisse spiegeln gleichsam unsere Konditionierungen, Glaubenssätze und inneren Beschränkungen, wodurch uns gleichfalls die Möglichkeit geschenkt wird, uns mit ihnen auseinanderzusetzen.

Die zwei hilfreichsten Fragen auf dem Weg der (Selbst-)Heilung sind folglich: “Was will mir das sagen, und worauf verweist es in mir?”. So gehen wir nicht in die Opferhaltung, sondern richten den Blick interessiert nach innen, erlangen dadurch einen gewissen Abstand zum äußeren Geschehen, und eine gesteigerte Selbstwirsamkeit in essenzieller Weise.

Dann können solche Mißliebigkeiten der Beginn einer wunderbaren Abenteuer- und Detektivgeschichte werden, oder nennen wir es einfach mal Heldenreise. Wohin? In Richtung unseres innersten Tempels, über dessen Eingang geschrieben steht: “Erkenne Dich selbst”. Der Weg dorthin? “Werde Schritt für Schritt, wer Du wirklich bist. Das ist der Tango der Meisterschaft.

Da all diese inneren Anteile und Energien, die auch produktive Widerstände auf dem Weg dorthin bedeuten, ein machtvolles Eigenleben führen, halten sie uns vorerst eher noch in Richtung Determinierung fest, und wirken so unserer potenziellen Willensfreiheit entgegen. Das kennen wir ja alle. Dennoch sind sie nicht unsere Gegner, da sie in gewisser Weise wohlbegründet sind, und berechtigt waren. Während wir uns mit ihnen nun befassen, wirken sie in diesem Prozess als Bewusstseins-Generatoren und Wendeltreppe des Erwachens, da auch sie uns vielleicht noch manches Mal auf einer höheren Ebene wieder begegnen werden. Im Grunde sind sie der kostbarste Schatz im Multiversum, da in ihnen auch unsere ganze Erfahrungsgeschichte – durch wer weiß, wie viele Leben -, und ein immenses Potential an Erkenntnis und Weisheit verborgen liegt. Die Wunden dürfen jetzt durch unser eigenes Wirken heilen, die Weisheit dahinter sich uns so erschließen

Und unsere wundervollen Körper, die ja (wie der äußere Kosmos) ebenfalls hoch komplexe Bewusstseins-Systeme darstellen, spiegeln uns, über sogenannte Symptome, ja auch unsere unfreien, also auf Befreiung durch fühlend-kognitive Durchdringung und liebevolle Annahme wartenden ‚Themen‘, Traumatas, Muster, energetische Blockaden und Einlagerungen.

Gespiegelt bekommen wir in diesem ‚Kabinett des Lebens‘ jedoch gleichwohl unser ganzes Maß an innerer Freiheit, Kreativität, Lebendigkeit, Unversehrtheit und Unversehrbarkeit.

Von Lao Tse, aus dem „Tao te king“ stammt der wundervolle Satz: „Das Leben ist etwas Heilig-Magisches, das nicht behandelt werden darf.“ Es besitzt seine eigene Intelligenz, nämlich die Allerhöchste, und nichts, rein gar nichts darin geschieht blind zufällig, sondern alles wird uns zugefallen lassen.

Dabei spiegeln uns nicht nur das Leben an sich, auch jenes das wir sind, und speziell der physische, sowie die feinstofflichen Körper, unsere noch auf Befreiung und Lösung wartende Themen. Ebenso die von uns Menschen inspirativ erschaffenen Kommunikations-Systeme und sinnlich-ästhetischen Erfahrungs- und Gestaltungsungsmedien, wie zum Beispiel der Tango vom Rio de la plata, vermögen dies. Letzterer vermag es sogar ganz besonders, da er als der Beziehungstanz ein vollendeter Spiegel des Tanzes unserer jetzigen Paarbeziehung ist. Zugleich stellt er uns mittels seiner ganz eigenen Interaktionsmatrix und der sich darin ausdrückenden Beziehungs-Metaphoriken, ein sehr hohes Paarbeziehungs-Ideal auf vielerlei Aussage-Ebenen, und durch entsprechende -Symboliken, in den Erfahrungsraum des gegenwärtigen Tanzens.

Und genau dieses Spannungsfeld – zwischen bewegt-bewegender Spiegelung unserer momentanen Realbeziehung, und einer höheren Vision von Paarbeziehung an sich, beides erfahrbar durch den selben Tanz, spannt das Lern- und Entwicklungsfeld dieser tänzerischen Sprachform auf, die viel mehr als nur ein Tanz ist. Denn dieser Kulturtechnik wohnt eine hohe Transzendenz inne, da sie mit der Universalität ihrer immanenten Aussagen weit über sich selbst hinausweist.

Ganz allgemein bleibt hier noch anzumerken: Das, wodurch es etwas zu erkennen gilt, das ziehen wir, zum rechten Zeitpunkt dafür, sowieso an, und was wir glauben oder fürchten, auch unbewusst, ebenso. Dadurch erschaffen wir es in unserem Leben zudem sogar noch direkt, und selbst, in Form von Ereignissen, weiterführenden Begegnungen und Situationen. Es lohnt also, sich den unbewussten Themen zu stellen. Nicht aus Angst, sondern für unsere Entwicklung und Heilung, auf allen Ebenen.

Das Leben als das Ganze, wie auch die von uns erschaffenen Systeme, insbesondere der Tango, wirken potenziell als Bewusstseins-Räume, -Vehicel und -‚Technologien‘, umso mehr, wie wir bereit sind, sie als solche zu erkennen und mit entsprechender Absicht dafür aktiv, eigenverantwortlich und mit wachen Sinnen in Anspruch zu nehmen.

Fazit: Wir sind zu hundert Prozent verantwortlich für das, was uns geschieht, für das Leben, das wir sind. Denn wie überall gelten die sog. Hermetischen Gesetze: „Wie innen, so außen, wie oben, so unten, wie im Kleinsten, so im Größten.

 Teil II

Tango als heilerisches Medium individueller – und Paar-Themen

Gerade in sehr nahen Beziehungen, insbesondere jenen als Paar, finden wir uns nach einer Phase frischen Verliebtseins oft stark herausgefordert, im besten Falle eingeladen (was für Fortgeschrittene), die entsprechenden Themen in uns selbst zu betrachten – wie sie mit denen des Gegenübers interagieren -, und sie mutigen Forschergeists zu erkunden, anstatt den Finger auf das Gegenüber zu richten. Hierfür stellt der Tango, aufgrund seiner eingangs erwähnten Eigenschaften ein ebenso unbestechliches wie wirkungsvolles Labor dar, in dem sich anhand seiner frei improvisierten Realkommunikation viele unserer Beziehungsmuster abbilden, sogar wie unter einer Lichtlupe, auch jene, die wir vielleicht gerne noch hinter dem Vorhang gehalten hätten. Und ein Beziehungsthema ist ja nichts Anderes als ein Interaktionsmuster jeweils individueller Themen und Triggerpunkte auf beiden Seiten. Wir haben also immer die Wahl, blind gegeneinander zu kämpfen oder für sich allein und miteinander Bewusstseinsarbeit zu leisten. Und schon sind wir weg von der Vorwurfs-Ebene.

In dieser explosiven Mischung mag es sinnvoll erscheinen, sich als Tangolehrer auch paartherapeutisch weiterzubilden oder wenigstens auf diesen Aspekt ein erhöhtes Augenmerk zu richten.

Das Gefühl, innerhalb einer Beziehung, ausgehend von eigenen ‚Themen‘, in fruchtlosen Interaktions-Schlaufen und Verknotungen festzustecken, ist vielen vertraut, und wird dennoch als möglicher Krankheitsauslöser oft unterschätzt, da wir uns in Beziehungen sogar in gewisser Weise daran gewöhnen können, nicht zuletzt, weil sie uns mehr oder weniger auch unsere vertrauten Primärbeziehungen (zu den eigenen Eltern), soweit noch nicht verarbeitet, spiegeln. Dadurch können sich solche Zustände sogar ‚normal‘ anfühlen. Deshalb, und weil wir uns in Paarbeziehungen meist mehr als anderswo öffnen, und zugleich schwerer entziehen können, werden dort im besonderen Maße die schmerzhaftesten und frühesten „Innere-Kind-Themen“ angetriggert. Falls es nicht gelingt, sie zu erkennen und zu heilen, können solche Beziehungen chronisch zermürbend und aufreibend wirken, psychisch wie schließlich somatisch, und gar nicht selten sogar zu vorzeitigem Tod, als vermeintlichen letzten Ausweg, führen.

In der Regel lässt sich dazu sagen, sind unsere Beziehungsdramen nichts Anderes als Re-Inszenierungen unserer alten Traumatas und Verletzungen über das unbewusste Drücken der jeweiligen schmerzpunkte durch den Partner, die Partnerin. Zugleich liegen darin aber große Chancen, und ein verborgener Schatz an Selbsterkenntnis-Potentialen. Nur, heben dürfen wir diesen Schatz immer selbst, denn niemand Anderes kann und wird es für uns tun.

Tango stellt ein multiples Achtsamkeits-Übungsfeld und erkenntnispraktisches Terrain dar, allerdings nicht nur um sich mit den inneren Themen zu konfrontieren und zu befassen, sondern darüber hinaus auch mit dem Stand eigener Beziehungs- und Kommunikations-Kompetenzen im Allgemeinen, und diese weiterzuentwickeln. So stellt Tango i jeder Hinsicht eine ganzheitliche „Beziehungsschule“ dar.

Hier wirkt er einerseits als Spiegel dessen, was sich auf der ungefilterten Wirkungs- und Ausdrucks-Ebene zeigt. Gleichwohl stellt er anhand seiner Regularien, Codices, sowie der Art und Weise, wie das Paar in dieser Kunstform zueinander aufgestellt ist, und die Kommunikation sich tangotypisch vollzieht, einen tänzerischen Symbol- und Metaphern-Organismus dar, der ein hohes Beziehungsideal aufzeigt, und dieses auf allen Ebenen (Körper, Geist und Seele) zu erfahren gibt. So macht der Tangotanz den Ist-Zustand direkt erfahrbar und bietet ein Medium, mit diesen Inhalten zu arbeiten. Parallel dazu bietet er dem Paar jedoch immer auch ein inspirierendes Leitbild zu einer erfüllenderen Beziehungskultur, sowie ein nonverbales Spielfeld, in dem sich beide neuen Erfahrungen von Kooperation, Kontakt, Nähe und Intimität wie auch Freiheitlichkeit und Loslassen, öffnen können, wo zuvor vielleicht eher ein Gefühl verengter Bewegungs-Spielräume, individuell wie auch miteinander, Stagnation und Zermürbung, erlebt wurden.

In besagtem tänzerischen ‚Idealzustand‘ geht es auch um die fließende Vereinigung der Grund-Pole des Daseins, und dessen Polaritäten (wie die Fokussierung auf Ich und Du als gleichwertige Instanzen, ein ebenfalls dynamischen Wir als daraus hervorgehendes Drittes, des Weiteren, um die in gelingender Weise getanzte Einheit von Freiheit (Selbständigkeit) und Verbundenheit (Hingabe, ohne darin sein Selbst aufzugeben, ohne sich zu verlieren), es geht um Nähe und Distanz, Erdung und Aufrichtung, Ruhe und Dynamik, um eine generell subtile Energielenkung und -Übertragung mit ihrer steten Gegen-Ankerung, in jeglichen Richtungen, … ), um ein durchwegs dynamisches Bewegungs-Gleichgewicht dabei, und zwar beider Tanzenden jeweils in sich selbst, um eine symmetrische Positionierung auf Augenhöhe, und die Balance männlicher und weiblicher Archetypen, als durch diesen Beziehungstanz erfahrbare wie auch eingeforderte innere Qualitäten und Ressourcen, sowohl beim Mann als auch bei der Frau (innerlich sind beide von hoher androgyner Wirkkraft und Befähigung in der Praxis des Tanzes).

Auf der äußeren Ebene jedoch bringt Tango das Paar wieder kraftvoll in Kontakt mit der männlichen Seite beim Mann, bzw. der weiblichen, bei der Frau, und lässt sie diese Ebene, über ein zutiefst sinnlich-ästhetisches Medium, miteinander feiern und genießen.

 Teil III

Tango als Meditation und Körperarbeit

Zudem eignet sich diese Kunstform, beispielsweise ausgeübt in hoch präsenter Langsamkeit, wahlweise mit oder ohne Musik, auch hervorragend als Paarmeditation, da sie viele Aspekte des ZEN wie auch des T‘ai Chi Ch’uan in sich vereint oder aufzunehmen vermag.

Es geht darin um einen sich immer weiter verdichtenden Präsenzfluss (bei sich selbst wie auch miteinander)t, der sich energetisch mit der körperlichen Bewegung verbindet, hoch zentriert in der eigenen Mitte, und aufgerichteten Achse. Dabei üben wir, achtsam, zentriert, verwurzelt und aufrecht, bei uns selbst zu bleiben, und gleichermaßen aus dieser Basis heraus unser tänzerisches Gegenüber mit allen Sinnen zu erfassen, empathisch zu spüren, und fließend,  alle Arabesquen der Bewegung hindurch konstant miteinander verbunden zu sein, im eigenen Fließgleichgewicht, ohne sich an den Partner zu klammern, diesen festzuhalten, oder ihn damit gar aus dem Gleichgewicht zu bringen. Das gehört zur Grundschulung des Tango. Die Verbindung im Tango ist ohnehin eine subtil energetische, worin es kein Drücken, Ziehen oder Klammern gibt. Insofern besitzt dieser auch die Dimension der Energiearbeit – in einem weiten Feld, das noch mehr erforscht werden möchte.

Die Basis dieser gemeinsamen Bewegung sind das Miteinander-Gehen in konstanter stabiler jedoch nicht einschränkender Umarmung, Brust an Brust, Herz an Herz. Und dieser Herzenergie-Kreislauf wird durch das geschlossene Oval der Umarmung noch verstärkt. Es gehört auch zur Basis, dass wir über eine spezielle Körperarbeit, die sich aus Funktionsweise und Wesen des Tango herleitet, unseren Körper in ein Instrument verwandeln, über das wir auf feinster Ebene Bewegungs- und energetische Signale übermitteln wie auch empfangen, und in Raum und Zeit und Schritte zu übersetzen vermögen, soz. zu einer Stradivari der tänzerischen Kommunikation.

Dabei lernen wir auch, dass jeder Bewegungs-Impuls aus der inneren Mitte hervortritt, sich wie in einer Kaskade nach außen fortsetzt, sodass es nur diese Impulsrichtung gibt, wobei die ruhige Umarmung wie ein Webstuhl feinster hin und her laufenden Impulse im Herzraum zwischen Mann und Frau wirkt … hier nur als einige Wenige der Bilder, die beispielhaft für die Vision auf ein höheres Ideal stehen, das der Tango erfahrbar macht potenzialhaft für den Tanz unserer Realbeziehung außerhalb des Tango-Salons.

Weitere positive Nebenwirkung sind die Veränderung unserer Raumpräsenz, des Auftretens wie unserer Interaktions-Qualitäten im Allgemeinen, sowie die Verfeinerung und Sensibilisierung unserer Körperwahrnehmung.

Und dadurch, dass uns die Tangopraxis fast unmittelbar in die Gegenwärtgkeit holt, lassen wir unsere Sorgen dann meist für einige Stunden komplett los, und erfahren so in heilsamer Weise auch emotionale und geistig-neuronale Entlastung, Erfrischung und Energetisierung.

 Teil IV

Weitere Kurative Aspekte der Tango-Praxis, auch für den Körper direkt

Tango besitzt ganzheitliche und kontemplative Qualitäten, regt auf sanfte aber kräftigende Art Herz- und Kreislauf an. Er wirkt in vielen Fällen blutdrucksenkend und vereint zahlreiche positive Effekte für Haltung, Wirbelsäule, das gesamte Skelett-Muskulatur-System, stärkt die kommunikativen Fähigkeiten sowie das Selbstbewusstsein. Durch die für ihn typische höchst spürige Art, sich weich, geschmeidig und fließend zu bewegen, mit gestärkten Sinnen für Verhältnismäßigkeiten in jeglicher körperlichen Aktion, und Interaktion mit Anderen, kann er sich lösend auf Muskel- und Gelenkblockaden auswirken, sowie harmonisierend auf den muskulären Gesamt-Tonus. Tango verbessert unser Körpergefühl und sensibilisiert dafür, unnötigen Reibungs- sowie Kraftaufwand zu unterlassen. Damit vermeiden wir auch physische Belastungs-Spitzen und Verschleißerscheinungen.

Bei „Burn-out-Patienten“ wirkt er antidepressiv und facht spielerisch das Lebensfeuer neu an. Dabei schafft die intensive Nähe im Tanz ein hohes Maß an Begegnung und Kontakt, wirkt seelisch stimulierend, anregend auf Stimmung, Gemüt und Motivation. Tangotanzen ist zwar in der üblichen Praxis noch keine Therapie im engeren Sinne, wenngleich er auch dort schon therapeutische Wirkungen hervorbringt, und als Hilfe zur Selbsthilfe genutzt werden kann, um mit Stress- und Belastungssituationen anders umzugehen und sich zu entspannen.

Durch die innige und lange anhaltende Umarmung des Tango wird eine vermehrte Ausschüttung des Glücks- und Beziehungshormons Oxytozin bewirkt. Oxytocin verringert den Blutdruck und den Kortisolspiegel, wirkt sedierend, sogar schmerzstillend (analgetisch) und kann zu verbesserter Wundheilung führen. Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass Oxytocin durch Einwirkung auf die sogenannte HPA-Achse (hypothalamic-pituitary-adrenocortical axis) die Auswirkung von Stress verringert, wie wir auch in der Wikipedia nachlesen können.

Zudem ist Tango ein transgenerationaler Paartanz, der die Inklusion unterschiedlicher Altersgruppen wie auch gesellschaftlicher Milieus und Schichten befördert, ein Tanz, der bis ins hohe Alter und trotz gesundheitlicher Einschränkungen auf spielerische Art und Weise erlernt, und genossen werden kann, da hier weder Schnelligkeit, Muskelkraft noch akrobatische Figuren eine Rolle spielen, sondern ein ruhiger Bewegungsfluss im gemeinsamen Gehen, auf der Grundlage einer liebevollen Umarmung, welches beides die Ausgangsbasis bildet. Tango ist durch seine stilistisch-rhythmische Offenheit und bewegungsphysiologisch günstige Grundstruktur für Menschen aller Altersstufen geeignet, die ihre geistig-körperliche Beweglichkeit auch im Alltag sanft trainieren, erhalten und erweitern wollen. Neben dem Spaß am Tanzen, trägt das Erlernen neuer Bewegungsstrukturen ganz wesentlich zur Steigerung der Lebensfreude, Lebensenergie und Selbstentfaltung bei. Tango fördert und fordert auf ganzheitliche Art und Weise verschiedenste Kompetenzen, auch der Bewegung und Beweglichkeit im gemeinschaftlichen Kontext; er macht Mut, sich auf neue Herausforderungen einzulassen und längst verloren geglaubte Potentiale wieder neu zu beleben oder zu entdecken.

Neben reiner Tanz- und Lebensfreude, thematisierte der Tango auch Emotionen wie Einsamkeit, (Trennungs- Abschieds- und Loslass-)Schmerz, Selbstwert- sowie Identitätskrisen und hilft, diese dadurch besser zu bewältigen und in sich zu integrieren. Abschiede gehören zum Leben wie Geburt und Neubeginn. Abschiede von Lebensabschnitten, von Möglichkeiten, von Menschen und von Dingen, wie auch von lang gehgten Illusionen.

Dabei kann das bewusste Erleben belastender Emotionen helfen, unterstützt durch künstlerisch-ästhetische Mittel und Kulturtechniken, innere und äußere Spannungen abzubauen, notwendige Entwicklungsschritte zu tun, um Veränderungen im Lebensumfeld auch positive Seiten abzugewinnen.

Kulturelle Aktivitäten und ästhetisch-kreative Bildung sind insbesondere für ältere Menschen ein zentraler Schlüssel zu sozialer Teilhabe, zu einem Mehr an Lebensqualität und sinnerfüllter Zeit. Hierzu bietet gerade das Tangotanzen vielfältige Ausdrucksmöglichkeiten, die im tänzerischen Dialog nicht nur Bewegungs–Potenziale spielerisch erforschen und mehren, sondern auch neue Begegnungsmöglichkeiten eröffnen, die uns erfreuen und innerlich bereichern, aber auch Platz schaffen für Trauer um Verlorenes und Ungelebtes, für das Erleben von Nähe und Distanz, von Geborgenheit und Autonomie, Bewegung und Ruhe, Schwächen und Stärken, Mutlosigkeit und Sehnsucht …

Trotz aller Einschränkungen, die das Altern mit sich bringen kann, regt Tangotanzen dazu an, nach den verbliebenen Möglichkeiten zu fragen, denn auch im hohen Alter ist Entwicklung und Entfaltung nicht nur möglich, sondern ein universelles menschliches Grundbedürfnis nach Lebendigkeit. Die Beschäftigung mit kreativ-ästhetischen Medien ist von essenzieller Bedeutung für alle Menschen.

Weiterführende Inhalte zu den Themen dieses Artikels finden sich in meinen Büchern, die ab der Jahrtausendwende noch die ersten zu diesen Themenfeldern im Zusammenhang mit dem Tango vom Rio de la plata waren (siehe dazu auch die Literaturliste am Ende von: https://de.wikipedia.org/wiki/Ralf_Sartori)

Ralf Sartori Tango à la carte / Tango Global